Enthaltsamkeit während der Menstruation: medizinische Aspekte



Dr. Daniel Malach

Rabbi Saadia Gaon teilt in seinem Buch Emunoth veDeoth (Buch der Glaubensartikel und Dogmen) die Gebote in die „rationellen“ und die „kategorischen“ ein. Die rationellen Gebote haben einen klaren Sinn, z. B. die Gebote, die die Verhältnisse zwischen Menschen regeln, (Lev 19:11): Ihr sollt nicht stehlen, und sollt nicht ableugnen und nicht belügen einer den anderen. Die kategorischen Gebote sind für den Verstand unfassbar, und allein die Tatsache, dass sie von G-tt gegeben wurden, macht sie lohnenswert, wie es geschrieben steht (Jes 42:21): Der Ewige begehrt um seiner Gnade willen, dass groß werde die Lehre und herrlich. Rabbi Saadia Gaon fügt hinzu: …so erscheint es fast unmöglich, dass sich bei einer genauen Vernunftbetrachtung nicht ebenfalls die teilweise Zweckmäßigkeit dieser Klasse [der kategorischen Gebote] herausstellen und eine rationale Begründung finden sollte, wie doch für die erste Klasse sich die große Zweckmäßigkeit und die durchgreifende Begründung aus der Vernunft heraus sich herausstellt. Zwischen den beiden Arten Geboten besteht ein quantitativer Unterschied: bei den rationellen Geboten sind die meisten Gründe des Gebots klar, während man bei den kategorischen Geboten irgendeinen Grund für sie finden kann, gleichzeitig aber Rechenschaft ablegen muss, dass es andere, verborgene Gründe gibt. In dieser Weise würde man bei Erforschung dieser Klasse von Gesetzen fast immer rationelle Ursachen und verschiedenartige Zwecke auffinden, wenn auch nicht alle; denn die Weisheit G-ttes in seiner weisen Anordnung ist zu erhaben, als das der Mensch alles zu erfassen sich vermessen darf, wie es heißt (Jes 55:9): Denn (so viel) die Himmel höher sind als die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege (Emunoth veDeoth, Abschnitt 3).

Die Gründe der Gebote über die Unreinheit und das Untertauchen sind vor uns verborgen. Natürlich müssen wir sie, wie alle anderen Gebote, einhalten, denn der Schöpfer, gesegnet sei sein Name, hat uns geboten, sie einzuhalten. Um aber diese Gebote mit einem offensichtlichen und klaren Inhalt zu versehen, führe ich einige medizinische Gründe zum Thema an, weil die Gebote Vorteile enthalten, die für jede Person sichtbar sind (Sefer haChinuch, am Ende des Leviticus), sei es um diese Gebote dem Herzen jedes einzelnen näher zu bringen, oder sei es, weil Liebe zur Heiligkeit und Leidenschaft für das verborgene Wissen die Feder führen (Sefer haChinuch, Gebot 397).

Während der Blutung aus der Gebärmutter ist die Frau ihrem Mann nicht nur im Sinne sexueller Beziehungen verboten, sondern auch im Sinne anderer Arten der Nähe, die in den religiösen Gesetzbüchern aufgeführt sind. Bei Blutungen aus der Gebärmutter handelt es sich meistens um die menstruellen Blutungen, obwohl es manchmal andere Gründe dafür gibt. Im Innern der Gebärmuter gibt es einen Raum, der mit einer Schleimhaut überzogen ist. In ihrem oberen Teil besteht die Schleimhaut aus einer Zellenschicht, unter welcher das Bindegewebe liegt, das an Blutgefäßen reich ist. Darin befinden sich zahlreiche Drüsen, die Schleim produzieren und ausscheiden. Im Laufe von zwei Wochen nach dem Beginn der Menstruation wird die Schleimhaut aufgebaut, was bis zum Eisprung dauert. Nach dem Eisprung, der etwa zwei Wochen nach dem Beginn der Menstruation (bei den Frauen, die einen regelmäßigen Zyklus von 28 Tagen haben) eintritt, scheiden die Drüsen Schleim aus, der Nährstoffe für die befruchtete Eizelle enthält. Darüber hinaus treten Änderungen im Bindegewebe auf, die das Auffangen der befruchteten Eizelle ermöglichen. Wenn die Schwangerschaft nicht eingetreten ist, löst sich die Schleimhaut von der Innenseite der Gebärmuter und fließt durch den Gebärmuttermund in die Scheide und weiter nach draußen ab.

Der Ausfluss wird von der Blutung aus Blutgefäßen, die sich in die Gebärmutter öffnen und offen verbleiben, begleitet, bis diese durch einen speziellen Mechanismus geschlossen werden und aufhören zu bluten. Der untere Teil der Auskleidung der Gebärmutter degeneriert nicht und löst sich nicht ab, sondern dient als Grundlage für den Aufbau einer neuen Schleimhaut. Wie schon erwähnt, fängt der Aufbau der Schleimhaut nach dem Abstoß der Schleimhaut während der Menstruation an und dauert bis kurz vor dem Eisprung. Das Menstruationsblut enthält rote und weiße Blutkörperchen, Schleimhaut aus der Gebärmutter, Gebärmutterhalsschleim, Gebärmutterhalszellen, Zellen, die sich von der Scheide ablösen, Bakterien und Enzyme.

Meistens gerinnt das Menstruationsblut nicht und enthält keine Gerinnungs-Faktoren.

Früher waren manche Forscher der Meinung, dass im Menstruationsblut ein bestimmtes Gift namens Menotoxin vorhanden ist. Andere Studien haben aber die Existenz dieses Giftes nicht bestätigt, und heute wird es allgemein angenommen, dass das Menstruationsblut kein spezifisches Gift enthält.

Was ist der Grund dafür, dass die Tora die Trennung zwischen dem Ehemann und der Ehefrau während der Menstruation verlangt?

Einen Grund dafür finden wir schon in den Worten von Rabbi Meir: Damit sie für ihren Mann genauso anziehend bleibt, wie an dem Tag, als sie unter dem Hochzeitsbaldachin stand. Man kann Rabbi Meirs Worte auf unterschiedliche Weise erklären. Die einfachste Erklärung besteht darin, dass es während der Trennung eine wachsende sexuelle Spannung zwischen den Ehegatten gibt, so dass das Vergnügen am erneuten körperlichen Kontakt genauso groß ist, wie am Tag, da sie unter dem Hochzeitsbaldachin stand. Das erinnert an einen hungrigen Menschen, dem sein Essen viel besser schmeckt. Natürlich ist dieser Vergleich oberflächlich und unvollständig, weil das Ziel des Gebotes nicht im körperlichen Vergnügen liegt, sondern in der Stärkung der emotionalen Bindung zwischen den Ehegatten.

„Der Tag, an dem sie unter dem Hochzeitsbaldachin stand“, ist ein großer Moment für den Ehemann und die Ehefrau, zwischen denen eine psychische und physische Bindung entsteht, und sie werden zu einem Fleisch. Die Alltagsroutine kann aber die Bindung schwächen, die Kraft des natürlichen Triebes geht zurück; durch die Trennung kommt es dann zu einer eine gewissen Distanzierung zwischen den Ehegatten, um die Bindung zu erneuern, und Einvernehmen, Partnerschaft, Liebe, Brüderlichkeit, Frieden und Freundlichkeit wieder zu erschaffen.

Die Alltagsroutine kann bekanntlich die Beziehung zwischen den Ehegatten ruinieren, wie es manchmal passiert, wenn die Vorschriften der Familienreinheit nicht eingehalten werden, wenn dann ein verheirateter Mann fremd geht, um dem Alltag zu entfliehen. Solche Pfadfinderei kann auch zu Perversionen und Problemen im Sexualleben führen, wie es in der permissiven und hedonistischen Kultur der heutigen westlichen Welt zu sehen ist. Ein monatlich wiederkehrender Hochzeitsbaldachin erfrischt die Bindung zwischen den Ehegatten und verhindert die Seitensprünge für die Befriedigung des sexuellen Triebs.

Psychologisch kann man verstehen, warum speziell die Regeltage als Distanzierungsperiode für die Ehegatten gewählt wurden. Viele Frauen befinden sich während dieser Zeit in einem Zustand der Nervosität und Reizbarkeit. Es ist also keine richtige Zeit für eine zu intime Annäherung. Es scheint somit plausibel, dass diese Tage eine Ruhepause von den Beziehungen sowohl im körperlichen als auch im emotionalen Sinne sein sollen, um anschließend eine neue und frische Beziehung aufzubauen.

Für die Trennung während der Menstruation gibt es neben geistigen auch körperliche Vorteile:

Die meisten genitalen Infektionen bei Frauen werden beim Geschlechtsverkehr übertragen. Tatsächlich sind Geschlechtskrankheiten sehr selten bei Frauen, die sexuell nicht aktiv sind. Geschlechtsverkehr während der Menstruation erhöht das Erkrankungsrisiko. Es gibt mehrere Mechanismen, die die Frau vor Infizierung durch Bakterien beim Geschlechtsverkehr schützen. Während der Menstruation funktionieren all diese Mechanismen nicht vollständig.

Die meiste Zeit herrscht in der Scheide eine saure Umgebung, die die Entwicklung bestimmter Bakterien verhindert. Darüber hinaus gibt es eine Art vaginaler Bakterien, die nicht schädlich sind und die die Entwicklung schädlicher Bakterien verhindern. Einen weiteren Abwehrmechanismus stellt der Schleim dar, der von den Drüsen im Gebärmutterhalskanal abgesondert wird. Dieser Schleim hat antibakterielle Eigenschaften, sowie eine mechanische Beschaffenheit, welche das Eindringen von Bakterien verhindert. Während der Menstruation funktioniert dieser Mechanismus nicht, und außerdem gibt es in der Scheide, der Gebärmutter und im Gebärmutterhals Blut, das eine reiche Nahrungsquelle für die Entwicklung und Übertragung von Bakterien ist. Bakterien, die die Gebärmutter schon erreicht haben, finden dort keine zusätzliche Abwehrlinie in Form der unversehrten Schleimhaut, sondern eine abgelöste Schleimhaut und offene Blutgefäße – ideale Bedingungen, um ins Gebärmuttergewebe einzudringen, sich auszubreiten, und eine Entzündung zu verursachen. Während der Menstruation können sich Bakterien in der Gebärmutter und im Becken problemlos vermehren, und tatsächlich leiden Frauen mit chronischen Beckenentzündungen während der Regeltage an Schmerzen und anderen Symptomen des Krankheitsausbruchs, obwohl sie an anderen Tagen keine Anzeichen der Erkrankung aufweisen. Während der Menstruation ist die allgemeine Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Krankheiten verringert, die Anzahl der weißen Blutkörperchen gehen zurück, während die Blutsenkungsgeschwindigkeit (ein Parameter für Entzündungsaktivität) ansteigt. Die Häufigkeit verschiedener Infektionen und Allergien ist während der Menstruation größer, und es treten Veränderungen an den Blutgefäßen auf, insbesondere Zerbrechlichkeit und Blutstauung im Becken. All diesen Faktoren schaffen eine Situation, welche die Entstehung von Entzündungen in der Gebärmutter und in den Beckenorganen beim Geschlechtsverkehr während der Menstruation fördert.

Gebärmutterhalskrebs ist eine Krankheit, die aus epidemiologischer Sicht sehr gut erforscht ist. Alle Studien kommen zum Schluss, dass es einen Zusammenhang zwischen der sexuellen Aktivität und der Erkrankung gibt. Frauen, die keine sexuellen Beziehungen haben, sind immun gegen diese Krankheit. Außerdem ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass die jüdischen Frauen von der Krankheit weniger häufig betroffen sind.

Es hat sich auch herausgestellt, dass die Krankheit häufiger bei Frauen auftritt, die ihre sexuelle Aktivität in einem frühen Alter begonnen haben.

Theoretisch wird dies dadurch erklärt, dass es im Gebärmutterhals eine Zone gibt, die in bestimmten Zeitperioden, wie z. B. der Pubertät, gegen krebserregende Substanzen empfindlich ist. Aus diesem Grund löst ein Kontakt mit diesen Substanzen während der kritischen Periode die Entwicklung von Krebs aus. Ist es möglich, diese Angaben mit der geringen Inzidenz von Gebärmutterhalskrebs bei den jüdischen Frauen zu verbinden? Die Inzidenz von Gebärmutterhalskrebs bei ihnen nimmt zu. Während in der Vergangenheit das Verhältnis zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Frauen 1:20 war, ist es jetzt 1:5.

In einer Studie in Serlin-HaKirja-Entbindungsklinik in Tel Aviv, und in Beilinson-Krankenhaus in Petach Tikwa, wurden 1985 potentiell bösartige Schäden des Gebärmutterhalses bei 1,7% der untersuchten Bevölkerung festgestellt. Nur 4,5% der Frauen, bei denen dieser Befund vorlag, haben sich zum orthodoxen Judentum bekannt, im Vergleich zu 9,8% bei den Frauen, die sich als säkular bezeichnet haben. Diese Zahlen vermitteln aber nicht die Ursache von Gebärmutterhalskrebs. Der Unterschied zwischen den religiösen und säkularen Frauen besteht nicht nur im Untertauchen in der Mikwe, sondern auch im Alter des Beginns der sexuellen Aktivität und in der Anzahl von Partnern. Theoretisch kann man aber davon ausgehen, dass die Menstruation eine kritische Phase für die Widerstandsfähigkeit der Gebärmutterhalszellen gegen kanzerogene Substanzen ist, und dass die Stimulation dieser Zellen während der Menstruation zu bösartigen Veränderungen führen kann.

In den letzten Jahren gab es einen signifikanten Rückgang der Sterblichkeit von Gebärmutterhalskrebs, was auf Früherkennungsmaßnahmen in der Zeit, wenn die Krankheit noch erfolgreich behandelt werden kann, zurückzuführen ist. Bei den religiösen Frauen, die mehr auf vaginale Ausscheidungen, insbesondere auf Blut, aufpassen, ist die Selbstkontrolle ein Hilfsmittel für eine frühzeitige Erkennung von pathologischen Prozessen und Geschlechtskrankheiten. Und je mehr man kontrolliert, desto besser.

Diese Erläuterung steht in vollem Einklang mit dem Kommentar unserer Weisen zum Vers (Prediger 10:18): Durch Trägheit senkt sich das Gebälke, und durch Schlaffheit der Hände trieft das Haus, die den Vers in Bezug auf die Selbstkontrolle interpretiert haben, d. h., dass die Frau sich selber untersuchen muss, da sonst die ganze Decke irgendwann einstürzen wird.

Das Gebot über die Unreinheit ist eine besondere Mizwa, die geistige und körperliche Gründe hat, sowie andere Gründe, die nur den Eingeweihten offenbart sind, wie z. B. bestimmte Eigenschaften der Frau im Zustand der Unreinheit, die die Seele des in diesem Zustand gezeugten Kindes negativ beeinflussen, und die nur nach dem Untertauchen in der Mikwe weggehen. Da die Einhaltung dieser Mizwa verschiedenartige Gründe und Vorteile hat, eignet sie sich hervorragend als Beispiel für die Äußerung des Verfassers des Sefer haChinuch in Bezug auf alle Gebote: Es gibt eine Frucht, die einige Krankheiten heilen kann und auch gut zu essen ist. Ein kluger Mann weiß, ihre heilenden Eigenschaften zu preisen, und wer keine Kenntnis davon hat, möge er sagen, dass sie gut schmeckt. Auch ohne alle lobenswerte Eigenschaften dieses Medikaments zu wissen, werden wir anstreben, davon Gebrauch zu machen, wohl wissend, dass Verdienst und Gewinn zu uns kommen, auch wenn der Grund des Gebots für uns unfassbar ist, wie es geschrieben steht: Und der Ewige gebot uns all diese Satzungen zu tun, den Ewigen unsern G-tt zu fürchten, uns zum Heil zu allen Zeiten, um uns am Leben zu erhalten, wie diesen Tag geschieht (Deut 6:24).